Langzeitbelichtungen mit Live-Time im Vergleich zu Langzeitbelichtungen im Bulb-Modus
Die OM-D Kameras des Herstellers Olympus bieten einen Belichtungsmodus mit der Bezeichung „Live-Time“. In diesem Modus belichtet die Kamera so lange, bis der Nutzer den Verschluss mit einem weiteren Druck auf den Auslöser beendet. Der Clou dabei: Man kann den Belichtungsfortschritt während der laufenden Aufnahme kontrollieren. Das noch in der Belichtung befindliche Bild wird dazu immer wieder auf dem Display der Kamera aktuallisiert angezeigt. Auch ein Live-Histogramm wird auf Wunsch eingeblendet. So läßt sich die Langzeitbelichtung genau dann stoppen, wenn der bestmögliche Zeitpunkt und die gewünschte Helligkeitsverteilung erreicht ist. Ein riesen Vorteil für die Freunde der langen Belichtungen. Aber es gibt auch Nachteile im Live-Time Modus zu beachten.
„Nie wieder Live-Time!“
So das kürzlich veröffentlichte, drastische Fazit eines Mitglieds in einer Diskussionsgruppe zur Fotografie mit Olympus OM-D Kameras auf facebook. Dieser endgültige Entschluss wurde untermauert mit Beispielaufnahmen eines Motivs bei Nacht und 1:1 Ausschnitten daraus. In den 1:1 Ausschnitten konnte man in den Live-Time-Aufnahmen deutlich stärkeres Bildrauschen wahrnehmen, als in der klassisch belichteten Langzeitaufnahme des selben Motivs bei ähnlicher Belichtungszeit.
Die Vehemenz der Konsequenz und die gezeigten Beispielaufnahmen überraschten mich und spornten mich an, eigene Vergleichsaufnahmen anzufertigen.
„Ausprobieren ist besser als Glauben.“
Gedacht, getan! Hier also meine Entdeckungen anhand von zwei Langzeitbelichtungen bei Nacht.
Die beiden Vergleichsaufnahmen stammen aus einer Olympus OM-D E-M1 MK II mit Firmware 3.3.
Bei der ersten Aufnahme handelt es sich um eine Live-Time Belichtung über 16 Sekunden. Während der laufenden Belichtung wurde der Bildschirm der Kamera insgesamt 16 mal aktualisiert. Jede Sekunde einmal. So konnte ich anhand des Histogramms und des Gesamteindrucks der sich Schritt für Schritt auf dem Bildschirm entwickelnden Belichtung den optimalen Zeitpunkt zum Beenden der Langzeitbelichtung ermitteln. Bei 16 Sekunden beendete ich die Live-Time-Aufnahme. Es folgte automatisch eine weitere Belichtung mit geschlossenem Verschluss. Der so genannte „Dark Frame“. Die Belichtungszeit des Dark Frame entspricht genau der eigentlichen Belichtung des Motivs. Die Kamera ermittelt anhand des Dark Frame das entstehende Bildrauschen und versucht dieses rechnerisch so gut wie möglich aus der eigentlichen Aufnahme zu entfernen.
Direkt im Anschluss an die Live-Time-Aufnahme startete ich eine zweite Belichtung. Bei dieser zweiten Aufnahme benutzte ich allerdings den Bulb-Modus und stoppte die Belichtung nach 15 Sekunden. Auch hier erzeugte die Kamera automatisch den zugehörigen Dark Frame und verminderte damit vollautomatisch das Bildrauschen, so gut es eben geht.
Bei beiden Aufnahmen war die Kamera auf ISO 200 und Blende f4.0 eingestellt. Abgespeichert wurden die Aufnahmen im Raw-Format der Olympuskamera, also im Dateiformat ORF (Dateiendung .orf). Die Kamera stand bei beiden Aufnahmen natürlich auf einem Stativ.
Beide Aufnahmen wurden mit den selben Einstellungen in Adobe Lightroom Classic (LrC 9.4) entwickelt. Dabei wurden die Schatten etwas aufgehellt, die Lichter etwas abgesenkt und die Nachschärfung durch eine Maskierung auf die relevanten Bereiche beschränkt. So wie man das halt macht, bei Langzeitbelichtungen bei Nacht.
Lasst uns mal das Rauschen in den Schatten und dem Himmel anschauen:
Was fällt auf?
- Das Rauschen in der Live-Time Aufnahme ist in der 1:1 Darstellung etwas deutlicher wahrzunehmen. Vor allem im Bereich der Schatten. Das war so auch zu erwarten, da der Sensor während der laufenden Aufnahme bereits mehrfach ausgelesen wurde, um die Updates zur laufenden Belichtung auf dem Kameradisplay anzeigen zu können.
- Es fällt aber nicht so extrem aus wie es auf anderen Aufnahmen, die ich im Internet gesehen habe, dargestellt wird. Der geringe Rauschanteil in meinen Live-Time-Aufnahmen könnte an meinem Vorgehen bei der Belichtung liegen. Ich habe das so genannte ETTR-Verfahren angewandt (Expose to the right). Dabei wird der Dynamikumfang des Sensors optimal ausgenutzt und so vermeidbares Rauschen minimiert. Diese Art der Belichtung habe ich bei beiden Aufnahmen gleichermaßen angewandt.
- Bei verkleinerter Darstellung, wie sie auf eigenen Webseiten (wie hier oben), facebook, Instagram, etc. üblich ist, fällt der technische Unterschied in den Live-Time-Aufnahmen nicht auf.
Fazit
- Um sich eine eigene Meinung zu bilden, ist selber Ausprobieren immer noch am Besten!
- Live-Time-Aufnahmen tendieren zu stärkerem Bildrauschen als klassische Langzeitbelichtungen im Bulb-Modus, vor allem in den Schatten.
- Bei der Aufnahme optimal ans Motiv angepasst belichten hilft. Dann muss man die Schatten und Mitteltöne in der Bildbearbeitung nicht unnötig stark aufhellen und vermeidet so sichtbares Bildrauschen.
- Der schiere Komfortgewinn durch Live-Time-Aufnahmen mit einer Olympus OM-D E-M1 MK II* kann die bildtechnischen Einbußen meiner Meinung nach durchaus überwiegen.
Ich werde weiterhin Live-Time-Aufnahmen nutzen, wo es für mich Sinn macht und ich meinen erprobten ETTR-Workflow umsetzen kann.
Hier alle Bildschirmaufnahmen nochmal in 100%, zum Download und privatem Eigenstudium:
Belichtungsunterschied
Bevor jetzt jemand unnötig Kommentare oder E-Mails schreibt: Ja, die Belichtungszeit ist unterschiedlich. 16 Sekunden bei Live-Time, 15 Sekunden im Bulb-Modus. Es handelt sich dabei um einen für die Gesamtbelichtung unwesentlichen Unterschied von 1/16. Den kann man im Rahmen der obigen Betrachtung schlicht ignorieren. Warum der Unterschied aufgetreten ist, erkläre ich in Ausgabe 173 unseres Podcasts. 😉
Raw-Dateien zum Eigenvergleich (MREV)
Wer dem Motto „Ausprobieren ist besser als Glauben.“ folgen und einen eigenen Vergleich mit dem Raw-Konverter seiner Wahl anstellen möchte, für den- oder diejenige biete ich hier die beiden Raw-Dateien im Original zum Download an (bis zum 31.12.2020). Viel Spaß damit. Und vielleicht teilst Du ja Deine Entdeckungen mit uns und erlaubst die Veröffentlichung in einem Update zu diesem Artikel. Dann haben alle Interessierten etwas davon. Das fände ich super!
Bitte sende dazu Deine Raw-Entwicklungsergebnisse (Übersichten, 1:1 Ausschnitte und die genutzten relevanten Einstellungen im verwendeten Programm) einfach per E-Mail an feedback@fotophonie und erlaube uns explizit die Veröffentlichung im Rahmen dieses Artikels. Vielen Dank im Voraus!
MREV steht übrigens für „Mein Raw – Eure Vergleiche“
Dir gefällt dieser Artikel?
Er hat Dich weitergebracht oder Dir neue Informationen gegeben? Oder Dich unterhalten? Dann hinterlass bitte kurz einen entsprechenden Kommentar, damit wir wissen ob solche Artikel ankommen und ob wir weitere in der Art schreiben sollen. Ein kurzer Satz genügt völlig. Wir freuen uns auf Dein Feedback!
Alle in diesem Artikel gezeigten Bilder und Screenshots unterliegen dem Urheberrecht. Vor der Weiterverbreitung oder Vervielfältigung ist die schriftliche Genehmigung des Urhebers erforderlich. Der Urheber ist Dieter Bethke. Kontaktdaten finden sich im Impressum dieser Website.
Hallo Dieter, sehr guter Vergleich und perfekt als Ergänzung zu der Besprechung des Themas im PodCast. LG aus Bayern, Florian
hallo Dieter, danke für die mühe. sehr informativer vergleich. für mich ist der Komfortgewinn des livetime-modus auch vorrangig.
grüße aus Bielefeld, Wolfgang
Moin Wolfgang.
Vielen Dank für Dein positives Feedback. So was motiviert, sich öfter mal die Mühe zu machen.
Beste Grüße
Dieter
Danke für die Mühe. Ein anderes Ergebnis hätte mich auch gewundert, da so drastisch negatives über Live-Time noch nicht zu lesen war.
Hallo Wolfhard,
gerne geschehen. Es gab da ein Beispiel, auf das wir uns in der Episode beziehen, welches tatsächlich im Live-Time sehr stark gerauscht hat – im Vergleich zur klassischen Bulb-Aufnahme. Allerdings war das unter echt suboptimalen Bedingungen aufgenommen worden. Stadtansicht in tiefer Nacht, also bei extremer Dunkelheit aufgenommen, Lichter gegen Ausbrennen unterbelichtet und dann nach der Aufnahme alles in der Bildbearbeitung stark aufgehellt, um doch noch Details in den dunkelsten Stellen hervorzuzaubern. Nunja. Kann man so machen. Aber dann isses halt K***e. Genauso würde ich es machen, wenn ich bei einer Kamera das extremste Rauschen hervorkitzeln wollte, das überhaupt nur geht. Was auch immer die Motivation hinter so einem Vorgehen wäre. 😉
Beste Grüße
Dieter
Hallo Dieter,
danke für den Vergleich. Habe das Thema schon im Podcast gespannt verfolgt. Für mein Empfinden rauscht zwar die Live-Time-Aufnahme in deinem Vergleich etwas mehr, aber dafür wirkt es, als sei sie zugleich dezent schärfer als die vergleichbare Bulb-Aufnahme. Fast, als sei dort das Rauschen rausgeglättet worden (zumindest in der 1:1-Aufnahme). Aber alles in allem hält sich das Rauschen ohnehin in Grenzen. Mit ein, zwei Klicks hat man das, wenn es denn wirklich stört, entfernt und davon abgesehen ist es der Bildeindruck, der zählt. Lieber habe ich danke Live-Time die Aufnahme so, wie ich sie haben möchte, als eine etwas rauschärmere Aufnahme, die nicht ganz so auf dem Punkt, weil ich nicht nachkontrollieren kann.
Viele Grüße
Thomas
Hallo Thomas,
genau so sehe ich das auch. Vor allem deinen letzten Satz.
Beste Grüße
Dieter
Hallo Dieter, vielen Dank für den interessanten Beitrag! Gut gemacht!
Moin Martina.
Vielen Dank für Dein Lob. Das freut mich.